Asche, Angst und Ausnahmezustand: Was eine Airline aus Krisen lernt

Shownotes

Aschewolke über Europa, die Entführung der „Landshut“, die Germanwings-Tragödie oder die Corona-Pandemie – Krisen haben Lufthansa immer wieder an ihre Grenzen gebracht. In Folge 3 von Above and Beyond spricht der ehemalige Lufthansa-COO Klaus Froese über Verantwortung, Resilienz und das Zusammenspiel in Krisenstäben. Historiker Prof. Hartmut Berghoff ordnet die Ereignisse historisch ein, während die Mitglieder des Special Assistance Team SAT, Carmen Luquero und Beatriz Böhm, sehr persönlich erzählen, wie sie in Ausnahmesituationen für Angehörige und Passagiere da sind. Ein Blick hinter die Kulissen einer Airline, die seit 100 Jahren lernt, mit dem Ausnahmezustand zu leben – und daraus immer wieder Stärke zieht.

Lufthansa Airlines Podcast 2. Staffel „Above & Beyond“

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[KF] Was in diesem Unternehmen extrem stark verwurzelt ist, ist das Verantwortungsgefühl. Dass erfolgreiches Krisenmanagement weit vor der Krise anfängt, gepaart mit der Haltung und der Energie und vielleicht auch dem Willen, da verantwortungsbewusst mit umzugehen und da rauszukommen und zu lernen, das sind die Kräfte, die uns treiben.

[HB] Die Krisen markieren natürlich Einschnitte mit erheblichen wirtschaftlichen, aber auch psychologischen Folgen. Jedoch gelang es eigentlich immer, diese Krisen relativ schnell hinter sich zu lassen.

[VO] Above and Beyond – der Podcast der Lufthansa Airlines. Für Einblicke in die Luftfahrt.

[AH] Im April 2010 lernte ganz Europa den Namen eines isländischen Vulkans kennen, nur aussprechen konnte ihn kaum jemand. Ich entschuldige mich an dieser Stelle sofort dafür, dass ich es jetzt versuche. Der Eyjafjallajökull, er war medial durchaus ein unterhaltsames Spektakel, allerdings nicht für den Flugverkehr. Sie ahnen vielleicht schon, wohin die Reise geht in unserer heutigen Folge von „Above and Beyond“. Es geht um die Krisen, die Lufthansa durchgemacht hat. Und wenn man 100 Jahre alt wird, hat man davon einige erlebt. Die katastrophalste, da sind wir uns einig, war der Zweite Weltkrieg, der letztendlich auch das Ende der ersten deutschen Lufthansa bedeutete. Aber auch die neu gegründete Lufthansa ist durch einige Tiefen gegangen: Terroranschläge, Naturkatastrophen, Pandemien oder auch menschliche Tragödien, oft mit schweren wirtschaftlichen Folgen. Nun ist es mit Unternehmen wie mit Menschen: kein Leben ohne Krisen. Die Frage ist: Wie geht man damit um? Und vor allem: Was lernt man daraus? Denn wer selbst mal eine Krise erlebt hat, der weiß: Ein guter Umgang sorgt dafür, dass ich hinterher stärker bin, resilienter, wenn man so will. Fragen, die wir in dieser Folge von „Above and Beyond“ klären wollen, mit dem Historiker Professor Hartmut Berghoff von der Universität Göttingen. Herzlich willkommen!

[HB] Guten Tag, Frau Heyde.

[AH] Und mit Klaus Froese. Er ist Chief Operating Officer von Lufthansa Airlines, Sicherheitspilot und erfahrener Krisenstabsleiter. Herzlich willkommen auch Ihnen!

[KF] Guten Tag, Frau Heyde.

[AH] Mein Name ist Anja Heyde und ich freue mich, wenn Sie wieder mit an Bord sind, herzlich willkommen!

[AH] Herr Froese, wie viele Krisen haben Sie schon erlebt bei der Lufthansa?

[KF] Wahrscheinlich hängt es davon ab, wie man Krise definiert. Gefühlt unendlich viele. Manchmal erhöht man vielleicht das ein oder andere Interne zu einer Krise. Von den wirklich großen vielleicht drei oder vier.

[AH] Und bei wie vielen waren Sie Krisenmanager?

[KF] In der strengeren Definition des Krisenmanagers, in der Funktion des offiziellen Krisenmanagers, hrlich gesagt: bei keiner. Aber in den Funktionen, die ich während dieser Krisen ausgeführt habe, war man immer auch Krisenmanager und hat versucht, den eigenen Bereich oder auch das Unternehmen durch die Krise zu steuern.

[AH] Wir werden ja gleich mehr hören. Herr Berghoff, Sie sind Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Göttingen, und Sie sind heute sozusagen unser Satellit, der so von oben auf das Unternehmen schaut. Sie haben ja eine wissenschaftliche Abhandlung über Lufthansa geschrieben, Titel „Lufthansa zwischen Berliner Republik und Weltmarkt“. Wie kommt man denn überhaupt grundsätzlich erst mal dazu, über dieses Unternehmen und diese Zeit zu schreiben?

[HB] Na ja, Lufthansa ist, wenn Sie so wollen, ein systemrelevantes Unternehmen in der Bundesrepublik. Es ist ein unglaublich vielfältiges und spannendes Unternehmen, und es ist natürlich auch sehr groß. Es ist gemessen am Umsatz die größte Luft-Airline-Gruppe Europas. Also insofern ist es einfach ein wichtiges Unternehmen und das ist schon auch für einen Wissenschaftler sehr, sehr spannend, sich damit zu beschäftigen. Und dann haben wir ja im nächsten Jahr, 2026, das hundertjährige Jubiläum. Und das ist natürlich auch so ein Anlass, da mal zurückzuschauen.

[AH] Und in welche Quellen sind Sie eingetaucht?

[HB] Unterschiedlichster Art, also von Protokollen von Gremiensitzungen, veröffentlichte Geschäftsberichte. Aber ich habe auch sehr viele Interviews gemacht mit Zeitzeugen. Das hat fast am meisten gebracht, die persönliche Erinnerung. Aber natürlich produziert so ein Konzern wie Lufthansa unglaublich viel Papier auch, wo man Dinge nachlesen kann. Es gibt interne Zeitschriften, wo sehr viel passiert, wo es Leserbriefe gibt von Mitarbeitern und so, da kommt schon, kommt einiges zusammen.

[AH] Ja, es gibt ein ganzes Archiv, auch darüber gibt es eine Folge von „Above and Beyond“. Welche Rolle spielen denn die Krisen von der Lufthansa in der Abhandlung?

[HB] Also die Krisen markieren natürlich Einschnitte mit erheblichen wirtschaftlichen, aber auch psychologischen Folgen. Jedoch gelang es eigentlich immer, das finde ich auch faszinierend, diese Krisen relativ schnell hinter sich zu lassen. Also es gibt keine langfristigen Trendbrüche, sondern das Wachstum von Lufthansa und vom Luftverkehr insgesamt ist ja phänomenal auf lange Sicht. Und da gibt es keine Trendwende, sondern es gibt so Einschnitte und dann geht sozusagen dieser lange Wachstumstrend – geht dann eigentlich weiter.

[AH] Dann schauen wir doch mal in einer kleinen Nachrichtencollage, was Lufthansa in den vergangenen Jahrzehnten so alles passiert ist.

[Male Voice] Hier ist das deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.

[Male Voice] Guten Abend, meine Damen und Herren. Die Geiseln an Bord der entführten Lufthansa-Maschine sind befreit und wieder zurück in der Bundesrepublik. Beim Sturm auf die Maschine in Mogadischu durch eine deutsche Spezialeinheit wurden drei Terroristen getötet und eine Luftpiratin angeschossen. Fast alle Passagiere und Besatzungsmitglieder blieben unverletzt.

[Male Voice] Kurz vor 9 Uhr Ortszeit in New York. Ein US-Passagierflugzeug stürzt auf einen der Türme des World Trade Centers. Wenig später rast eine zweite Maschine in den anderen Turm. Gegen 10 Uhr stürzt ein Flugzeug auf das Gelände des Pentagon in Washington.

[Female Voice] In Deutschland und anderen europäischen Ländern hat die Aschewolke nach dem Vulkanausbruch in Island zu Chaos im Flugverkehr geführt.

[Female Voice] Der Vulkan sorgt für Schlagzeilen und Warteschlangen. Auch auf dem Flughafen Düsseldorf. Seit heute Morgen geht hier nichts mehr, genauso wie auf den Flughäfen Köln-Bonn und Münster-Osnabrück.

[Female Voice] Die Ermittlungen zur Flugzeugkatastrophe in Südfrankreich haben eine dramatische Wendung genommen. Nach Erkenntnissen der französischen Staatsanwaltschaft hat der Copilot die Germanwings-Maschine absichtlich gegen das Bergmassiv gesteuert. Ermittelt wird weiterhin in alle Richtungen, auch ob der 27-Jährige psychische Probleme hatte.

[Female Voice] Lufthansa erwartet auch für die Zeit nach der Pandemie einen deutlichen Nachfragerückgang bei Flugreisen. Derzeit verhandelt das Unternehmen mit der Bundesregierung über mögliche Staatshilfen.

[AH] Das waren also Ausschnitte aus der Tagesschau von der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut über die Terroranschläge von 9/11 und die Aschewolke des unaussprechlichen isländischen Vulkans bis hin zur Corona-Pandemie, also über vier Jahrzehnte Krisen mit teils schwerwiegenden Folgen. Herr Berghoff, Sie haben schon gesagt, so richtig hat es der Lufthansa nie geschadet, diese Krisen, es waren immer nur so kleine Dellen. Also kleiner Spoiler: Wie hat sich die Lufthansa in Krisen gemacht?

[HB] Na ja, ich würde nicht sagen, dass es der Lufthansa nicht geschadet hat. Das sind natürlich schon wirtschaftliche Einbrüche, die man dann schon in der Bilanz der entsprechenden Jahre auch sehr deutlich sieht. Also man muss ja teilweise dann den Flugverkehr runterfahren, man muss die Kapazitäten anpassen, das sind hochkomplexe Prozesse. Und meiner Beobachtung nach hat man das gelernt und man macht das besser. Aber das ist ja eine sehr, sehr schwierige – – Also ich meine, Herr Froese wird das sicherlich bestätigen können. Also bei 9/11 war es ja auch noch so, dass man das praktisch innerhalb von Stunden machen musste. Bei Corona hat sich das ja so entwickelt, über Wochen, ja? Also das würde mich interessieren, Herr Froese, wie Sie das eigentlich machen. Schlafen Sie dann eigentlich noch irgendwie, oder – was passiert dann?

[KF] Der Schlaf kommt generell zu kurz bei solchen Megakrisen, wie Sie sie ansprechen, da haben Sie sicherlich recht. Aber zuerst muss man sicherlich sagen, dass wir über die Erfahrung, auch da haben Sie recht, natürlich umfangreichste Prozessbeschreibungen haben, die erst einmal das Grobe festlegen, was ist jetzt einfach zu tun? Und trotzdem würde ich sagen, dass ich als Erstes sagen würde: Warum, so wie Sie sagen, Herr Professor Berghoff, sind wir da ganz gut durchgekommen? Dass das nicht das Ergebnis der Prozesse ist, wie wir es formulieren, sondern zuerst mal eine Haltungsfrage. Was in diesem Unternehmen extrem stark verwurzelt ist, das ist meine Beobachtung, ist das Verantwortungsgefühl für das, was man tut, und insbesondere natürlich für unsere Gäste. Und aus dieser Haltung heraus kommt nicht nur die Energie, sondern auch das konkrete Tun und auch der Mut, diese Dinge dann voranzutreiben. Das ist das eine. Und das andere ist, dass wir über die Krise der Jahrzehnte – die Krisen der Jahrzehnte – plural! – gelernt haben, dass Krisenmanagement, erfolgreiches Krisenmanagement weit vor der Krise anfängt, also ohne grundsätzlich vorbereitet zu sein auf die Krisen, und ich sprach eben schon die Vielfältigkeit der Prozesse an, geht es nicht. Man kann nicht in der Situation, die Tausende von Detailentscheidungen ohne einen roten Faden – oder wie ich sage: ohne ein Geländer, an dem man sich festhält – treffen, sondern das muss gut vorbereitet sein. Aber das gepaart mit der Haltung und der Energie und vielleicht auch dem Willen, da verantwortungsbewusst mit umzugehen und da rauszukommen und zu lernen, das sind die – sind die Kräfte, die uns treiben.

[AH] Ich fange mal bei dem Lernen an, nämlich ganz früh, 1977, Herr Berghoff, 20 Jahre vor Ihrem Untersuchungszeitraum, aber trotzdem: Damals entführten palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine Landshut auf einer Odyssee, wenn man so will, letztlich nach Mogadischu. Das Ziel war, RAF-Terroristen in Deutschland freizupressen, der Pilot wurde erschossen, die damals neue Spezialeinheit, die GSG 9, hat dann schlussendlich alle Passagiere befreit. Das war nicht nur eine Staatskrise und ein Trauma für die Geiseln, sondern eben auch eine Tragödie und ein Trauma für die Lufthansa. Können Sie aus Ihrem historischen Verständnis heraus sagen, was das für Auswirkungen auf die Sicherheitskonzepte hatte?

[HB] Es wird sehr viel über Mogadischu gesprochen, aber es gab ja 1972 auch schon eine, die Entführung einer Lufthansa-Maschine, nämlich unmittelbar nach dem Attentat auf die Olympischen Spiele. Da sollten ja auch die drei überlebenden Attentäter, die inhaftiert waren, freigepresst werden. Und da gab es dann auch eine Befreiung. Merkwürdigerweise man spricht über diesen Fall nicht so viel wie bei Mogadischu. Natürlich wurden die Sicherheitsvorkehrungen danach massiv erhöht, weil: Es gab ja auch von der RAF eine Ansage. Die haben gesagt, weil eben die Terroristen erschossen wurden, wir müssen dafür Rache nehmen und wir werden für jeden getöteten RAF-Menschen, werden wir eine Lufthansa-Maschine in die Luft sprengen. Das war eine ganz klare Ansage. Und daraufhin gab es auch einen Einbruch der Buchungszahlen. Viele Leute haben gesagt: Gut, dann fliegen wir lieber mit British Airways, und so. Aber auch da, das ging ein paar Monate so und dann war man wieder auf dem Normalbetrieb. Aber natürlich hat Lufthansa sehr viel gemacht. Die Sicherheitskontrollen wurden erhöht, da ist dann einiges passiert. Ich meine, es ist einfach sozusagen – der psychologische Schock war eben sehr groß, weil es so viele Leute betraf, weil es eben eine Staatskrise war und weil – es gab bei Lufthansa einen Krisenstab, aber es gab auch einen Krisenstab der Bonner Regierung. Diese beiden Krisenstäbe haben nicht gut miteinander gearbeitet. Und der Krisenstab der Lufthansa versuchte zum Beispiel, mit den Stellen in Mogadischu zu kommunizieren. Aber da gab es nicht genug Telefonleitungen, also da gab es alle möglichen logistischen Probleme. Und ich glaube auch, dass man auch daraus gelernt hat, dass man in Zukunft da besser aufgestellt ist.

[AH] Jetzt erinnern Sie sich möglicherweise an Bilder, was Landshut damals anging, aber die meisten sicherlich hier im Raum und auch draußen an den Geräten erinnern sich sehr gut daran, wo sie am 11. September 2001 waren: die Terroranschläge mit Flugzeugen auf die Twin Towers in New York und aufs Pentagon in Washington und der weitere Absturz, die haben sich ja ganz, ganz tief eingeprägt. Ich weiß es auch noch. Herr Froese, wo waren Sie während 9/11?

[KF] Ja, das weiß ich in der Tat sehr, sehr genau. Ich war – es war ja September. Ich war segeln – oder lernte segeln auf Mallorca, in einer Segelschule. Meine Frau war dort an dieser Homebase, in einer Restauration. Und ich kam gerade zurück vom Segeln und sie kam mir tränenüberströmt entgegen und sagte „Es ist was ganz, ganz Schlimmes passiert“. Und dann standen da die Fernseher, die an der Decke montiert waren, und ich sah – ich weiß gar nicht, ob es live war oder ob es schon ein Replay war, wie das zweite Flugzeug in den zweiten Tower flog. Aber es ist mir in der Tat so, wie Sie sagen, sehr, sehr gut in Erinnerung.

[AH] Konnten Sie dann noch – also wenn man jetzt auch so in Krisen denkt, also kann man dann noch so weitermachen? Also kann man dann noch auf Mallorca stehen und sagen – will man da nicht weg?

[KF] Man kann nicht weitermachen. Ich glaube, wir sind in der Tat dann auch zwei oder drei Tage später abgereist, weil: mal unabhängig vom Job, ich glaube, viele von uns hatten das Gefühl, dass sich dort etwas wirklich – und das ist nicht zu hoch ins Regal gegriffen – etwas Weltbewegendes ereignet. Und da hatte jeder sein – oder musste jeder persönlich seinen Umgang mit finden und man war einfach gespannt, was jetzt auch passiert.

[AH] Herr Berghoff, nach 9/11 wurde der US-Luftraum für vier Tage gesperrt. Also Flug, Umleitung, Rückführung. Gestrandete Passagiere, natürlich auch bei der Lufthansa. Wie hat der Konzern reagiert?

[HB] Ja, er hat sofort den Krisenstab einberufen. Und dann wurden ja auch – wurde ein Flugzeug losgeschickt mit, glaube ich, 60 Leuten und mit Hilfsgütern, weil ja – viele Flugzeuge sind da ja in Neufundland gestrandet und das gab ein Riesenproblem. Also wo bringt man die Leute unter? So viele Hotels gab es nicht, die mussten in Turnhallen. Da waren aber auch dann Schwangere, Kleinkinder. Man brauchte Windeln, man brauchte Medikamente. Also Lufthansa hat ein 60-köpfiges Team aus Ärzten, Psychologen, Technikern und Krisenhelfern nach Neufundland geschickt und ein Teil davon ist dann weiter nach New York, weil da saßen ja überall Leute fest. Und wie Sie gerade richtig sagten, Herr Froese, niemand wusste, wie lange das eigentlich dauern wird.

[AH] Und das ist ja das Verrückte, weil: Was macht denn ein Krisenstab in so einer Situation? Wie Sie gesagt habe: Also klar, erfolgreiches Krisenmanagement beginnt vor der Krise. Aber auf so was kann man sich ja eigentlich nicht vorbereiten.

[KF] In bestimmten Dingen schon. Das Wichtigste am Krisenmanagement zuallererst ist: weitere Gefahren erkennen und abwehren. Haben wir die Krise in dem ganzen Umfang schon begriffen, oder kommt da noch mehr? Und das Nächste und – oder vielleicht in diesem Zusammenhang ist natürlich der Schutz von Leib und Seele unserer Gäste, aber auch unserer Mitarbeiter. Und an dritter Stelle würde ich nennen: Wie steuert man dann das Unternehmen durch die Krise, wie geht es weiter? Und in diesem Kontext, und das ist nicht zu unterschätzen, spielt Kommunikation eine überragende Rolle. Eine Kommunikation, die es schafft, der Schwierigkeit der Situation angemessen gestaltet zu werden, dem oft verbundenen Leid in diesem Kontext Rechnung zu tragen und trotzdem allen Beteiligten Perspektive zu geben: Wie geht es jetzt weiter?

[AH] Dann machen wir eine kleine Zäsur. Jetzt kommt mein Lieblingsvulkan. Im April 2010 war ein Moment, da ging am Himmel wirklich gar nichts mehr. Es war aber auch nicht viel am Himmel zu sehen, weil so viel Asche in der Luft war. Einen Versuch mache ich noch. Der Eyjafjallajökull, ein Vulkan auf Island, brach aus und legte den europäischen Flugverkehr tagelang lahm. Lufthansa musste Tausende Flüge streichen, erlitt hohe Umsatzeinbußen, was ja zeigt, wie anfällig die Luftfahrt für solche Naturereignisse ist. Was hat denn das für Auswirkungen auf die Lufthansa und welche Lehren hat die Airline daraus gezogen?

[HB] Das ist natürlich etwas, was man nicht planen kann, was da so plötzlich passiert. Ich glaube, und das wäre auch eine Frage an Herrn Froese, es ist ja ein bisschen umstritten gewesen, ob das wirklich eine adäquate Maßnahme war. Man hat ja hinterher Triebwerke auseinandergenommen und hat da gar keine Partikel gefunden und so. Also wie – war das vielleicht auch übertrieben, diese Maßnahme, dass man ganz, ganz Europa – weil es war ja, diese Aschewolke war ja nicht so dicht. Man hätte vielleicht weiter fliegen können. Ich weiß es aber nicht.

[AH] Aber wer hätte das Risiko eingehen wollen?

[KF] Nein, aber Sie haben völlig recht und haben, glaube ich, den Kern des Krisenmanagements aus unserer Sicht der damaligen Zeit gut erfasst, weil wir zum Zeitpunkt des Geschehens – und normalerweise steht beim Krisenmanagement immer erst mal Meistern der Situation im Vordergrund, und um Ursachen kümmert man sich danach selbstverständlich. Aber bei dieser Krise stand von Anfang an im Raum: Ist das wirklich notwendig, was wir hier machen? Und wir haben natürlich – und darum war ein Teil, so muss ich es formulieren, unsere Aktivitäten damit beschäftigt, zusammen mit den Herstellern, insbesondere den Triebwerksherstellern, rauszukriegen: Müssen wir das wirklich so machen? Und am Ende sind wir einer Vorgabe, einer Regulatorik gefolgt. Wenn ich mich richtig erinnere, waren wir eher der Meinung, diese Großflächigkeit der Luftraumsperrung wäre nicht notwendig gewesen. Aus der heutigen Perspektive wissen wir das. Und dann, Frau Heyde, geht es im Krisenmanagement, das habe ich noch nicht erwähnt, insbesondere bei dieser Art von Krise, wo jetzt nicht jemand unmittelbar zu Schaden gekommen ist oder eine Tragödie zu betrauern ist, ganz stark darum: Wie fahren wir unseren Betrieb wieder hoch? Wie kriegen wir unsere mehreren 100 Flugzeuge – in der Gruppe haben wir jetzt 800 Flugzeuge –, wie kriegen wir das organisiert, wenn die von jetzt auf gleich nicht mehr da stehen, wo sie eigentlich stehen sollten? Die Crews sind nicht mehr da, wo sie stehen sollten. Tausende und Abertausende von Passagieren warten irgendwo darauf, abgeholt zu werden. Und dieses, wie wir sagen, wieder hochfahren der Operation ist dann ein ganz, ganz wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit.

[AH] Wie geht das denn, wenn die dann gestrandet sind? Die Crews irgendwo in der ganzen Republik, fährt man die dann mit dem Zug hin und her? Oder ist es – –

[KF] Manchmal auch mit dem Zug, manchmal mit dem Auto. Und in solchen Krisen ist das Unternehmen und vor allen Dingen unsere tollen Mitarbeiter zum Teil auch sehr, sehr erfinderisch. Klammer auf: Sie glauben gar nicht, wie in der Krise ein Unternehmen zusammenrückt und jeder alles gibt. Und da entsteht viel Fantasie, aber da ist jeder Transportweg erlaubt. Und in unseren Planungszentralen, Verkehrszentrale, Grobplanung geht auch keiner nach Hause in so einer Krise. Wie soll das auch gehen? Weil: Jede Hand an Deck wird gebraucht: Wo von unseren 25.000 Crew-Membern ist jetzt gerade wer? Mittlerweile arbeiten wir viel auch mit IT-Unterstützung. Aber das Know-how derjenigen, die hier dann in der Zentrale sind, und das Mithelfen derjenigen, die draußen sind in der Kombination, kriegen wir das dann doch immer ganz gut hin. Traurige Wahrheit ist übrigens: Stichwort Streik. Das können wir mittlerweile richtig gut.

[HB] Kann ich auch nur bestätigen. Es gibt so eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen. Gerade in Krisen laufen die Leute wirklich zur Hochform auf. Aber wenn die Krise dann vorbei ist, dann dauert es nicht lange, bis der nächste Streik kommt. Und dann ist es auf einmal – gibt es doch schon relativ harte Fronten. Und dann erlebt man ein ganz anderes Miteinander, vielleicht eher ein Gegeneinander. Ich weiß nicht, wie Sie das erklären würden, Herr Froese. Ich fand das sehr bemerkenswert und auch schwer zu erklären.

[KF] Da haben Sie schon recht. Also diese – ich sehe es mal positiv. Es gibt bei allem Streit, den man auch wieder hat, am Ende einen riesigen Zusammenhalt für dieses Unternehmen und den großen gemeinsamen Einsatz für unsere Gäste.

[AH] Ich biege noch mal kurz ab, bevor wir noch mal über COVID sprechen können, über diese große Pandemie. Weil: Davor gab es noch eines der wohl traumatischsten Ereignisse für Lufthansa, das war der mutwillig herbeigeführte Absturz einer Germanwings-Maschine am 24. März 2015, und der Co-Pilot der Lufthansa-Tochter steuerte bewusst Flug 4U 9525 über den französischen Alpen in ein Bergmassiv. Alle 150 Insassen starben. Lufthansa sah sich auch massiver Kritik ausgesetzt, insbesondere wegen der psychischen Vorbelastung des Co-Piloten. Was waren denn die Konsequenzen, Herr Froese?

[KF] Die Konsequenzen waren erst einmal, entschuldigen Sie, wenn ich so antworte, und es ist wirklich nicht ausweichend gemeint: Es passieren Dinge, die man sich nicht vorstellen kann. So muss man es, glaube ich, sagen. Die Konsequenzen aus dieser Tragödie, die sind natürlich vielfältig und haben ein andermal, ein anderes Mal, ein weiteres Mal gezeigt, von welch überragender Bedeutung unsere Mitarbeiter sind. Die Auswahl ist und das Training ist, von dem ich persönlich glaube, dass es eine der wesentlichen Säulen ist, auf der das ganze Unternehmen steht, und last, but not least haben wir aufgrund der Schwere des Vorkommnis und der absoluten Ausnahmesituation viel über uns selbst gelernt im Umgang mit solchen Krisen und haben selbst für Situationen, die wirklich unvorstellbar waren, unsere Verfahren entsprechend angepasst.

[AH] Was war denn das Learning? Herr Berghoff, aus Ihrer Sicht auch?

[HB] Na ja, man hat die Sicherheitsstandards, also die Frage der Flugtauglichkeit von Piloten, das waren ja sowieso schon sehr hohe Standards, die man hatte, die hat man aber sozusagen noch weiter erhöht. Also ich glaube, man hat so eine Datenbank eingerichtet, also damit Piloten, wenn die zu verschiedenen Ärzten gingen, dass sie sozusagen nicht vom dritten Arzt dann eine Bescheinigung kriegten, dass sie flugtauglich sind, wenn die ersten beiden das verweigert hatten. Also diese Dinge, also da hat man sehr viel an Details geschraubt, um das schwieriger zu machen. Aber ich glaube, Herr Froese hat völlig recht: Am Ende kann man solche Tragödien wahrscheinlich zu 100 Prozent nicht ausschließen.

[KF] Ich habe nächste Woche, ich bin ja aktiver Pilot, nächste Woche mein sogenanntes Medical. Ich muss zum Fliegerarzt und dort muss ich Fragen beantworten, auch schriftlich, die ich vor der Germanwings-Tragödie nicht beantworten muss. Und da geht es sehr viel um – und das ist Ausfluss der staatlichen Regulierung an dieser Stelle, der Vorgaben des Gesetzgebers an dieser Stelle, dass das Thema psychische Stabilität sehr viel mehr Eingang noch gefunden hat in die eigentlich allgemeinmedizinische Untersuchung.

[AH] Was kann denn ein Unternehmen in so einer Situation nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Mitarbeitenden tun? Weil: Es ist ja an der Stelle so eine Tragödie, nicht nur eine Tragödie für die Angehörigen der Opfer, sondern eben auch für die Mitarbeitenden, die das durchleben müssen.

[KF] Absolut. Natürlich geht es ganz stark um die – um unsere Gäste, um die Angehörigen. Aber unsere Mitarbeiter leiden in solchen Situationen sehr – war übrigens auch bei Corona so. Und ich glaube, das Wichtigste, was wir an dieser Stelle tun können, ist, in irgendeiner Form ins Gespräch zu kommen und Präsenz darzustellen. Aber im Gespräch zu bleiben ist das Allerallerwichtigste und auch in einer Krise, auch in einer Tragödie mutig zu sein in der Transparenz und der Ehrlichkeit, in der Ehrlichkeit und Offenheit der Darstellung: Was ist passiert? – Das schafft Vertrauen und ist für die Öffentlichkeit und für unsere Mitarbeiter in der internen Öffentlichkeit sozusagen von großer Wirklichkeit. Das ist ein Learning auch für mich persönlich aus der Corona-Krise, die sich mindestens mal zwei Jahre hinzog.

[AH] Ohne die tatkräftige Hilfe von Lufthansa-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern wären viele Krisen gar nicht zu bewältigen, nicht nur die großen, manchmal sind es eben auch die kleinen, nennen wir es Situationen, in denen Passagiere Hilfe brauchen. Seit Ende der 1990er-Jahre hat sich auf Basis freiwilliger Mithilfe ein sogenanntes Special Assistance Team, kurz SAT, gebildet. Wir haben jetzt zwei dieser freiwilligen Helferinnen aus dem Special Assistance Team gesprochen, nämlich mit Beatriz Böhm und Carmen Luquero. Und eine davon war auch beim Germanwings-Absturz 2015 ganz besonders gefordert.

[VO] Das Special Assistance Team bei Lufthansa – kurz SAT – ist ein besonderer Teil der Notfallvorsorge des Unternehmens. Bestehend aus freiwilligen Mitarbeitenden, wird es aktiv, wenn Unvorhergesehenes am Boden oder an Bord passiert, erklärt SAT-Mitglied Carmen Luquero.

[CL] Die Airlines sind verpflichtet, eine bestimmte Gruppe an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorzuhalten, um im Krisenfall – und Krise kann von ganz klein, jemand fühlt sich unwohl an Bord, bis hin zu Flugunfall alles bedeuten –, um in diesen Fällen einzuspringen und Betroffenen, sowohl Fluggästen als auch Angehörigen, Hilfe zu geben, Unterstützung anzubieten.

[VO] Anfangs als sogenanntes „Care-Team“ ins Leben gerufen, ist das SAT mit den Jahren stetig gewachsen. Mit jeder neuen Airline in der Lufthansa Group kamen Freiwillige dazu. Derzeit sind es weltweit rund 3.200 Helferinnen und Helfer, mit der italienischen Airline ITA werden es fast 4.000 sein. Die Halbspanierin Carmen Luquero ist von Anfang an dabei, zuerst im Care-Team, dann, seit seiner Einrichtung 1998, im SAT. Ihre spanische Kollegin Beatriz Böhm ist seit zwei Jahren bei Lufthansa.

[BB] Ich habe von dem SAT-Team gehört, und ich kann mich erinnern, ich habe mich sofort am selben Tag beworben. Für mich war ein sehr, sehr großer Reiz, seit ich bei Lufthansa im Dienst bin, habe mich dann informiert. Ich habe mich in den letzten Jahren beruflich umorientiert, und ich wollte mit Menschen arbeiten, für Menschen da sein, helfen. Ich habe für die Caritas gearbeitet, insbesondere mit Flüchtlingen, mit Familien in Notsituationen, auch soziale Hintergründe. Und mir geht es in erster Linie um einfach da sein, präsent sein, den Menschen Hilfe zu bieten, weil es ist sehr, sehr viel Bedarf. Und ich stelle immer wieder fest, es ist nicht nur so eine Katastrophe, sondern in den ganz kleinen alltäglichen Situationen gibt es Menschen, die hilflos sind.

[CL] Ich glaube, die Motivation ist bei den allermeisten die gleiche. Jeder von uns, der sich vorstellt, in einer Notsituation zu sein oder es vielleicht selber schon mal erlebt hat, ist dankbar, wenn irgendjemand an seiner Seite steht und die Hand reicht, vielleicht das Denken abnimmt, unterstützt, wo immer das geht. Und als ich von dem Care-Team damals, jetzt ja SAT, gehört habe, habe ich mich sofort angemeldet.

[VO] Wer helfen will, sollte wissen, worauf er oder sie sich einlässt. Einfühlungsvermögen ist Pflicht – aber das allein reicht nicht. Wer im SAT zum Einsatz kommt, ist zuvor extra geprüft und dafür geschult worden.

[CL] Ich habe jetzt überhaupt keine Vorkenntnisse in psychologischer Betreuung oder in Erster Hilfe bis auf Führerschein gehabt, dergleichen gar nichts, bin auch sehr dankbar, dass man da nach einer erfolgreichen Bewerbung und Annahme durchaus Unterstützung erfährt seitens SAT. Also, es gibt Schulungen, die regelmäßig abgehalten werden, wo man, na, wie so einen Baukasten bekommt, an dem man sich dann bedienen kann, dass man auf solches Wissen zurückgreifen kann. Ersetzt natürlich kein Psychologiestudium. Es geht ja auch nicht darum, dass wir die Menschen psychologisch beraten, sondern es geht um Hilfe, um Unterstützung, um eine Hand, die man reicht, um ein Ohr, das man offenhält, Taschentücher, die man anreicht, jede Form von Unterstützung.

[BB] Empathie, Ruhe, Geduld, Sprachen. Also, es war für mich auch eine megagroße Motivation, weil aufgrund meiner Sprachen kann ich wirklich sehr, sehr viele Menschen und verschiedenen Kulturen helfen – und du bist einfach da.

[VO] Im Prinzip können sich alle Mitarbeitenden bewerben. In Erstgesprächen werden die Bewerberinnen und Bewerber einer psychologischen Prüfung unterzogen.

[CL] Wie stabil bist du? Kennst du deine Grenzen? Kannst du damit umgehen? Kannst du dich aus so einer Situation auch wieder zurücknehmen? Ich glaube, das fällt manchen tatsächlich schwer. Denn dieses Helfen wollen, das möchten ja ganz viele. Aber sich rausnehmen aus einer Situation und sagen, okay, hier endet meine Hilfeleistung, und jetzt gehe ich wieder zurück in den Alltag, je nach Situation, je nach Vorfall kann das ziemlich schwierig sein, wenn man Betroffenen doch recht nahe gekommen ist, gerade als SAT-Member.

[BB] Was extrem wichtig ist auch, also meiner Meinung nach, ist, dass du auch die eigenen Grenzen kennst, das du wirklich weißt, was auf dich zukommt, was du dann anbieten kannst. Es ist eine harte Sache auch an sich.

[VO] Wie herausfordernd dieser Einsatz sein kann, zeigt sich vor allem im Rückblick auf die großen Krisen. Für Carmen Luquero war es ein Ereignis, das sie bis heute begleitet.

[CL] Das war Germanwings, und das war natürlich Supergau. Ich habe die Angehörigen betreut, musste bei der Gelegenheit dann auch die neuesten Informationen weitergeben. Und ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich eine mexikanische Familie begleitete. Und an dem Tag wurde von Lufthansa bestätigt, dass der Pilot Selbstmord begangen hat. Und das musste ich ihnen dann sagen. Und das ist schon ... puh! Also man sitzt da schon und sagt: Boah, wie erzähle ich das? Was ich damit auch sagen will: Es ist auch völlig okay, wenn man Emotionen hat. Also wir sind ja keine Roboter, das wäre ja ganz furchtbar! Und was ich auch wirklich zurückbekommen habe von ganz, ganz vielen Angehörigen, und das ist auch etwas, was einen bestärkt und auch noch mal motiviert. Man bekommt unfassbar viel Dankbarkeit und Wertschätzung für etwas, was man selber als „Mein Gott, das ist das Mindeste, was ich tun kann, dir in dieser Situation beizustehen!“ Da so viel Dankbarkeit zu erfahren, das ist schon ... hui! Da muss man mal tief durchatmen.

[AH] Also durchaus eine bereichernde, mitunter aber auch emotional sehr herausfordernde Tätigkeit, die Beatriz Böhm und Carmen Luquero da neben ihrem eigenen Job bei Lufthansa noch machen als Mitglieder des SAT, des Special Assistance Team. Holger Thurm hat uns die beiden vorgestellt. Eine beispiellose Krise der jüngeren Geschichte und zugleich die letzte, die wir heute hier beleuchten wollen, näher beleuchten wollen, weil angeklungen ist sie ja schon, ist die Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021. In dieser Zeit waren Sie der CEO von Lufthansa Airlines, Herr Froese. Können Sie sich noch daran erinnern, wie das losging?

[KF] Aber so was von. Ich habe von dem Virus das erste Mal gehört am 2. Januar [2020], ein bisschen verspätet, andere deutlich früher, am 2. Januar. Und der Januar war davon geprägt, dass wir uns viel Gedanken gemacht haben über unser sogenanntes Chinageschäft. Am Ende des Monats stand damals die Entscheidung wir fliegen nicht mehr nach China. Und dieses Szenario hat intern für wenige Wochen gehalten. Und dann kam der März und ich kann mich so gut daran erinnern, es war der 12. März 2020, dass ich bei einer großen Pilotenveranstaltung in unserem Schulungszentrum in Seeheim vor vielen hundert Mitarbeitern stand und die Konsequenzen geschildert habe, die sich jetzt ergaben daraus, dass wir nicht mehr nach China geflogen sind. Und dann höre ich mich am Ende formulieren: Gnade uns Gott, wenn die amerikanische Regierung uns zum, uns Deutschland, zum Bad Country erklärt. Und am nächsten Morgen um sechs komme ich ins Badezimmer, mache das Radio an, und es war der Fall.

[AH] War das der Zeitpunkt, wo Sie wussten: „Oh, oh? Das wird was Größeres!“

[KF] Und dann haben wir, von dort an, ich würde sagen, für einen Zeitraum von zwei Wochen mehr oder weniger unsere gesamte Zeit hier im Unternehmen verbracht und haben die gesamte Operation gefühlt erst einmal dauerhaft auf zuletzt, ich glaube, fast ein Prozent runtergefahren, haben unsere Crews nach Hause geholt, haben unsere Flugzeuge versucht nach Hause zu bekommen, haben Evakuierungsflüge durchgeführt und das alleine war schon sehr herausfordernd. Und mir ist in Erinnerung geblieben zwei Dinge: zum einen der Teamgeist und diese fast unglaubliche Energie, die dort frei wurde. Aber auch das Thema „Wie soll das weitergehen?“. Und wir haben dann natürlich viel mit dem Konzernvorstand darüber gesprochen: Was kostet uns das denn? Und wie lange halten wir das durch? Und dann war ziemlich schnell klar: Wir kommen möglicherweise in eine existenzielle Krise. Und ich habe in einem Krisenmeeting gesessen, da ging es nicht um operationelle Krisen, sondern da ging es darum: Wie wickeln wir die Insolvenz der Lufthansa ab? – Und das ist ein Erlebnis. Und da lag der Insolvenzantrag sozusagen, bildlich gesprochen, in der Mitte des Tisches. Und das werde ich in meinem Leben nicht vergessen.

[AH] Für so was gibt es ja auch keine Blaupause.

[KF] Für so was gibt es keine Blaupause. Wir haben uns untergehakt und gesagt: Das müssen wir irgendwie machen. – Und was sollen wir denn machen? Die Hände in den Schoß legen geht nicht.

[HB] Aber auch da gab es ja eine ganz, finde ich, bewundernswerte Systematik, wie man da vorgegangen ist. Man hat ja zwei Szenarien. Also es gab ja, glaube ich, zwei Teams. Ein Team hat die Insolvenz vorbereitet und das andere hat dann diese Verhandlungen mit der Bundesregierung geführt über Hilfsprogramme. Und dann war ja zum Schluss nicht ganz klar, ob diese Hilfsprogramme angenommen werden würden von den Aktionären. Aber man hatte das total vorbereitet. Und ich glaube, Herr Spohr hatte auch schon einen Termin mit der Insolvenzrichterin ausgemacht. Da wäre er dann hingefahren. Und dann ging aber das Rettungspaket doch durch und dann konnte man da dann weitermachen.

[KF] Aber dort aus dem Stegreif, weil dafür gab es kein Drehbuch, ich kann mich übrigens in diesem Kontext erinnern an die Demonstration unserer Mitarbeiter vor unserem Lufthansa Aviation Center, die für den Fortbestand des Unternehmens gekämpft haben. Als dann die Nachricht kam, Herr Kühne hat zugestimmt und es gibt Hilfe vom Staat, was meinen Sie, was hier Tränen geflossen sind? Das war eindrücklich.

[AH] Zurück zum Spoiler vom Anfang, Herr Berghoff: Sagen Sie, Lufthansa hat aus den Krisen gelernt und ist gewappnet für alles, was jetzt kommt? Von dem man noch nicht weiß, dass es kommt.

[HB] Ja, das wäre ein bisschen zu viel gesagt, weil man ja nicht weiß, was kommt. Aber ich finde es schon so als außenstehender Beobachter – habe ich schon eine sehr große Bewunderung entwickelt dafür, wie man mit Krisen umgegangen ist, wie man sich vorbereitet hat. Diese Lernprozesse, das ist schon sehr, sehr eindrucksvoll, das ist eine sehr große Leistung, aber man weiß nicht, was kommt. Das können ganz andere Dinge noch auf uns einprasseln, wo dann möglicherweise auch diese Lerneffekte nicht mehr – wo die Dinge dann vielleicht nicht mehr – –

[KF] Und mathematisch würde man sagen aus dem, was Sie sagen, was ich zu 100 Prozent unterstütze, muss man die mathematische, würde man sagen, die erste Ableitung treffen. Wir müssen uns nämlich auf das vorbereiten, was wir noch nicht kennen. Und das bedeutet nicht Inaktivität. Es gibt Dinge, die kann man tun, ohne dass man die konkrete Ausprägung der Krise weiß und kennt. Wie macht man ein Unternehmen erst mal robust, damit es die Störung abfedert und dann resilient – wie kann es wieder aufstehen? Das zu verstehen, dass wir nicht nur reaktiv sind auf etwas, was wir kennen, sondern dass wir sagen „Was müssen wir denn tun, um das zu meistern?“, genau wie Sie sagen, was wir noch nicht kennen, sei es möglicherweise ein IT-Angriff, der in einer Art und Weise geschieht, wie wir ihn nicht vorhergesehen haben usw. usf. Und Ihre Frage ist ja ein bisschen misleading, weil wenn wir es wüssten, dann wäre ja nicht richtig, was wir sagen, dass wir es eben nicht wissen. Aber die Stabilität zu schaffen für eine Krise, deren Auslöser wir nicht kennen, das ist die Herausforderung, und ich glaube, dass wir da gut sind. Übrigens gehört dazu auch die Erkenntnis, dass wir – das lässt sich sicherlich auch messen, sind Sie sicherlich der richtige Ansprechpartner –, dass die Frequenz der Krisen eher zunimmt als abnimmt und dass die Amplitude, also von welcher Größe und von welchem Ausmaß die sind, die scheinen auch erst zuzunehmen. Also es wird ein Stück weit kontinuierliches Business, mit Krisen umzugehen, so schwierig es klingt.

[AH] Aber das nehmen wir mit aus diesem Gespräch: Lufthansa ist gefühlt gut vorbereitet, aber nicht nur gefühlt, sondern auch strategisch.

[KF] Und wir tun alles, was wir können.

[AH] Vielen Dank, Klaus Froese und Herr Professor Berghoff, für dieses „Krisengespräch“, ich setze es in Anführungszeichen. Wie heißt es doch so schön? Die Krise als Chance sehen. Das scheint Lufthansa bislang zumindest immer geschafft zu haben.

[KF] Herzlichen Dank auch von meiner Seite. Das ist ein schwieriges Thema, aber Sie haben es vielleicht gemerkt: Ich mache das auch gerne, so paradox das klingen mag, weil es zu unseren Kernaufgaben gehört, mit Krisen umzugehen als Luftverkehrsgesellschaft, als Deutsche Lufthansa.

[HB] Ja, auch ich möchte mich bedanken. Das war ein sehr anregendes Gespräch, Herr Froese, Frau Heyde, das hat mir persönlich auch sehr viel gebracht, weil ich eher der Theoretiker bin, da mal mit einem Praktiker zu sprechen und zu sehen, dass wir vielleicht gar nicht so weit auseinander liegen, das ist schon schön. Vielen Dank.

[AH] Dann bedanke ich mich noch mal und tease unsere nächste Folge. Dann wollen wir die Entwicklung des Lufthansa-Streckennetzes unter die Lupe nehmen. Welche Zwischenstopps machte der Kranich in den 50er- und 60er-Jahren auf seinem Weg nach Buenos Aires oder Bangkok? Wie haben sich die zentralen Drehkreuze, die sogenannten Hubs, entwickelt und welche Auswirkungen hatten die neuen Jets auf die Streckenführung? Ich bin gespannt. Und wenn Sie es auch sind, dann freuen Sie sich auf die kommende Folge von „Above and Beyond“. Bis dahin!

[VO] Das war: Above and Beyond – der Podcast der Lufthansa Airlines. Mehr Einblicke in die Luftfahrt gibt es in der kommenden Folge. Und für alle, die nicht mehr so lange warten wollen: Folgt doch unserem Instagram-Kanal lufthansaviews. Alle Links findet ihr wie immer in den Shownotes.

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